Morgens um fünf Uhr an der Staumauer des Sylvensteinspeichers: Neun Rennradler klicken ihre Schuhe aus den Pedalen und blicken leicht fröstelnd auf die grauen Wolken über dem See. Der Morgen ist noch jung und doch fühlt sich der Tag bereits ausgewachsen an. Über 90 km liegen schon hinter der Truppe und das zu einer Zeit, zu der sonst nur Bäcker und Zeitungsausträger unterwegs sind. Los ging der Tag um halb drei in Germering. Aufgeregte Scherze, noch ein kurzer Espresso, einige Handgriffe am kleinen Gepäck und dann wird der Startknopf auf dem Fahrradcomputer gedrückt. Es geht los mit dem Fahrrad an den Gardasee – an einem Stück, an einem Tag, aus Spaß am Rennradfahren und für einen guten Zweck. Auf den ersten Kilometern ist jeder noch schläfrig im roten Blinken der Rücklichter auf den nächtlichen Straßen mit eigene Gedanken beschäftigt – wird alles klappen, sind die Beine heute gut, fängt der Sattel jetzt schon an zukünftige Druckstellen mitzuteilen?
Allmählich wird die Truppe auch gesprächiger. Fotos und kurze Videoclips sollen die magischen Momente dieses Morgens für später aufbewahren. Dünnes erstes Morgenlicht, zarte Nebelschwaden über taunassen Wiesen, klare Spiegelungen in der gestauten Isar, solche Eindrücke entschädigen für den wenigen Schlaf. Nach der Pause am Sylvesteinsee geht es durch die immer noch schneiden kalter Morgenluft weiter am Achensee vorbei ins Inntal. Erst den Brenner hinauf auf der alten Römerstraße wir es auch dem letzten richtig warm. Kaum zu glauben, dass man noch wenige Stunden zuvor durch eine kalte Voralpennacht geradelt war. Überhaupt dehnt sich die Zeit an so einem Tag schier endlos und rückblickend verwandeln die vielen Eindrücke Stunden in gefühlte Tage. In Sterzing am Fuße des Penser Jochs ist die Pause in Matrei und der Fototermin am Brenner in der Erinnerung schon weit in die Vergangenheit gerückt.
Das steile Penserjoch hinauf steigen die Temperaturen und die Trinkflaschen wären auch in der Wüste nicht schneller leer. Röhrende Motorräder und Kurven schneidende Autos, die Radfahrer nur als interessante Hindernisse betrachten, an denen man so schnell und knapp wie möglich vorbeikommen sollte, machen die zwei Stunden zur Passhöhe zu einer besonderen Herausforderung. Auf 2200 Meter Höhe belohnt ein weites Alpenpanorama bei einem kleinen Bier oder Kaffee und Kuchen für die bewältigten Strapazen. Die wirkliche Belohnung ist dann aber die lange Abfahrt durch das traumhafte Sarntal nach Bozen. Der Wind bläst hier noch kräftig nach Süden und die Rennräder fliegen fast neben grünen Bergwiesen. Von Bozen bis Trento folgt dann der mühsamste Teil der Strecke – zumindest mental. Endlos führt der Etsch-Radweg auf Dämmen dem Fluss entlang durch Obstplantagen, Dörfer und Weingärten. Und immer bläst den Radlern ein stetiger, strenger, warmer Südwind entgegen. Solange hier die Sonne scheint, weht auch der lästige Südwind, erst ab Rovereto, wenn die Sonne sich langsam hinter die Berge verkriecht, lässt er nach.
Das nahe Ziel und die kühlere Luft spornt noch ein letztes Mal an. Ein paar Höhenmeter noch über den Passo di San Giovanni - eher ein Hügel als ein Pass - und schon öffnet sich der Blick auf den Gardasee. Im späten Abendlicht liegt das beleuchtete Torbole, der See verliert sich übergangslos am blauen Horizont. Kein Bild kann diesen Eindruck richtig wiedergeben. Rauschhaft die kurze steile Abfahrt hinunter zum Ziel. Dann noch ein Siegerfoto am Ufer, in der Unterkunft kurz geduscht und natürlich die obligatorische Pizza unter italienischem Himmel. Ein perfekter Tag geht zu Ende -war das wirklich nur ein Tag?