Wenn es andere mit dem Auto gerade mal nach Rimini geschafft hatten, war Andreas Grimm mit dem Motorrad schon am Nordkap oder in Südfrankreich. Für den damals 19-Jährigen und seiner Kawasaki Z500 gab es keine Grenzen. „Die Leidenschaft hat mich einmal gepackt und nie wieder losgelassen“, erzählt uns der Mammendorfer mit leuchtenden Augen. „Es bedeutet die absolute Freiheit. Wir sind überall hingefahren, wo es eine Straße gab.“ Mit dem Rennvirus infiziert hat ihn ein guter Freund, der ihn schon in Kindertagen mit Programmheften der Motorrad-Weltmeisterschaft, der heutigen MotoGP, versorgt hatte. Sein erstes Ziel an die Rennstrecke hieß dann natürlich Salzburgring. „Es war gewaltig, diesen Kampf am Limit zu sehen, dieses Fahren auf Messers Schneide“, erinnert sich der heute 50-Jährige. „Da war der Fight zwischen meinem Helden Toni Mang und Freddy Spencer, bei dem die Führung mehrfach wechselte. Die 120.000 Zuschauer waren entweder mucksmäuschenstill oder komplett aus dem Häuschen.“
Bis Andreas Grimm selbst auf einer Rennstrecke ans Limit gehen konnte, war es ein weiter Weg, denn über Jahre stand der Aufbau seiner Firma im Vordergrund. Seit zwei Jahren ist er zudem Amateur-Rennfahrer mit einer BMW Boxer R1200S beim BMW Boxercup. Alles unter einen Hut zu bekommen, ist eine große Herausforderung. Mit täglich dreißig Minuten Yoga und mehrmals wöchentlich Radfahren bereitet er sich auf die extrem körperliche Anstrengung der insgesamt zwölf Rennen pro Saison vor. Zudem muss neben einer Sechs-Tage-Arbeitswoche ein Rennmotorrad gewartet und instand gehalten werden. Der Mammendorfer geht äußerst akribisch in die Vorbereitung auf jedes Wochenende und nutzt unter anderem die Mentaltechnik der Spieltheorie. „Nachts, wenn ich im Bett liege, gehe ich die kommende Strecke durch. Am Pannoniaring gibt es zum Beispiel eine Kurve, da muss das Gas stehen bleiben. Bislang habe ich immer zurückgezogen. Ich bin diese Mutpassage so oft in Gedanken durchgegangen, bis ich es dann auch auf der Strecke durchgezogen habe. Die harte Vorbereitung hat geklappt.“
Erster Sieg im letzten Rennen
Es ist gerade mal die zweite Saison, die Andreas Grimm 2017 im BMW Boxercup gefahren ist. Im letzten Rennen der Saison konnte der Mammendorfer seinen ersten Sieg einfahren. „Es ist die totale Befreiung, dieses Gefühl kann sich niemand vorstellen. Du heulst unterm Helm, und auf dem Podium bist Du total on fire. Noch dazu bei diesen widrigen Bedingungen am Slovakiaring mit einsetzendem Regen.“ Am Ende darf er sich sogar Vizemeister in der Gesamtwertung nennen.
Der Pilot mit der Startnummer #58 studiert seine Konkurrenten genau, die aus Hobbyfahrern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz bestehen. Einer davon brachte ihn auch zum BMW Boxercup, einer privaten Rennserie. Der Auslöser, von Kawasaki zu BMW zu wechseln, war übrigens ein ebenso körperlich großer Motorradfahrer der Münchener Motorrad-Schmiede, den Andreas Grimm kennenlernte, als er mit seinem Unternehmen ein soziales Projekt von BMW Motorrad und dem Kreisjugendring unterstützt hatte. Andreas Grimm ist übrigens 1,93 Meter groß und damit eigentlich alles andere als ein quirliger Turner auf zwei Rädern. Zudem hat der Mammendorfer sich mit einer BMW Boxer R1200S eine schwer fahrbare Maschine ausgesucht. Nach einigen Trainings auf der Rennstrecke fährt Andreas Grimm 2016 sein erstes offizielles Rennen auf einer Rennstrecke. „Es ist unbeschreiblich, eine Mischung aus Angst und Adrenalinschub schon Stunden vor dem Rennstart, eine Extrembelastung für mich“, erinnert er sich. „Erst wenn ich den Helm aufsetze, werde ich ruhig. Und wenn dann die Ampel auf Grün schaltet, zählt nur noch das, was vor mir ist.“ Dann funktioniert sein Gehirn ähnlich einem Hochleistungscomputer. Ein ständiges Einschätzen von Situationen, Entscheidungen treffen, ranfahren, überholen, in Sekunden Strategien ändern.
#58 als Hommage an sein Vorbild
Was er über den Winter vermisst, sind nicht nur die Rennen am Limit, sondern auch seine Kollegen aus dem BMW Boxercup. „Das ist die beste Gruppe, die ich jemals an wild zusammengewürfelten Leuten gesehen habe“, grinst der Vizemeister. „Und wir könnten ruhig noch ein paar Nachwuchsfahrer gebrauchen.“ 2018 wird Ändy wieder mit der #58 um Punkte kämpfen. Diese Startnummer hatte auch MotoGP-Profi Marco Simoncelli. Mit 1,83 Meter Körpergröße war der Italiener eigentlich auch zu groß für den Sport. Seine Bilanz: 14 Grands Prix und den Weltmeistertitel 2008 in der 250 ccm-Klasse.
Text: Bettina Eichhammer, www.thedepartment.eu